QuelleNZZ (CH) hat geschrieben:Die Krise der Airline-Industrie trifft Air Berlin zum denkbar schlechten Zeitpunkt. Die gesamte Langstrecken-Operation der alten LTU steht zur Debatte. Birgit Voigt
Die Nachrichten waren nicht erfreulich, auch wenn Air-Berlin-Chef Joachim Hunold tapfer zuerst die positiven Seiten betonte. «Dank Sparanstrengungen konnten wir die Zunahme bei den Treibstoffpreisen im ersten Quartal 2008 auffangen», verkündete er letzte Woche. Dumm nur, dass die Gesellschaft auf diesem Kostenniveau 2008 vermutlich wieder in die rote Zone rutschen wird. Unter Airline-Fachleuten ist deshalb die Frage, wie Air Berlin den kommenden «perfekten Sturm» überstehen kann, ein heiss umstrittenes Thema.
Die Fluggesellschaft gehört inzwischen auch zum Alltag in der Schweiz. Als zweitgrösste Airline am Flughafen Zürich hat sie sich etabliert. Dabei vergeht kaum ein Tag, an dem Air Berlin nicht Nachrichten generiert. Angesichts der Zahlen für das erste Quartal redet Hunold nach der positiven Einleitung schliesslich Klartext: Die Ticketpreise müssen hoch, und es kommen massive Einschnitte im Streckennetz. «Die komplette Langstrecken-Operation steht auf dem Prüfstand», sagte Hunold mehr als einmal.
Die Woche endete für Air Berlin so schlecht, wie sie angefangen hatte. Das deutsche Kartellamt verschob zum vierten Mal seinen Entscheid, ob man Air Berlin den Zukauf der Langstrecken-Ferienflug-Gesellschaft Condor erlauben solle. Kann Air Berlin die Condor übernehmen, hätte sie quasi eine Monopolstellung auf dem deutschen Langstrecken-Chartergeschäft. Denn nebst Condor fliegt nur noch die bereits von Air Berlin eingesackte LTU für die Reiseveranstalter an die Touristenziele. Ohne Condor bleibt LTU ein Verlustgeschäft.
Russe steigt ein
Da waren die Neuigkeiten der Vorwoche fast erfreulich: Leonid Blawatnik übernahm als neuer Grossaktionär den Anteil, den zuvor ein undurchsichtiger südafrikanischer Investor gehalten hatte (siehe Box). Alle diese Entwicklungen sind von grosser Bedeutung für Air Berlin. Die deutsche Gesellschaft hat ihren raschen Expansionskurs der letzten zwei Jahre noch nicht verdaut. Die drei Fluggesellschaften Air Berlin, DBA und LTU mit insgesamt 125 Flugzeugen sind kaum richtig integriert: Vor allem die Chartergesellschaft LTU mit ihrer Langstreckenflotte schreibt munter rote Zahlen. Wir erinnern uns: LTU ist die Airline, deren stete Verluste geholfen haben, dass die Swissair ausblutete.
Die LTU scheint jetzt wie ein Betonklotz auch Air Berlin nach unten zu ziehen. Der Versuch, die Auslastung der Grossflugzeuge mit einem Linienverkehr in die USA und nach China zu steigern und dabei vor allem Geschäftsreisende anzusprechen, ist wenige Wochen nach dem Start mangels Nachfrage gescheitert. Ein teurer Fehlschlag: Mit nichts kann man als Airline so schnell so viel Geld verlieren wie mit leeren Langstreckenflugzeugen, für die eine Tankfüllung allein derzeit schon einmal 50 000 $ beträgt.
Hunold setzte seit dem Börsengang 2006 zugunsten des schnellen Wachstums auf ein kompliziertes Gemisch aus drei Geschäftsmodellen: Charter-, Low-Cost-Shuttle- und Netzwerk-Anbieter in einem. Mit vier aufwendigen Drehscheiben und einem Angebot von Kurz- und Langstrecken verlor Air Berlin die Kostenvorteile, die ein strenges Modell à la Ryan Air bietet: von Punkt zu Punkt, hin und her ohne Unterbruch. Selbst in der Hochkonjunktur des letzten Jahres konnte Air Berlin praktisch kein Geld im Flugbetrieb verdienen. In den Zeiten des stürmischen Wachstums tolerierten die Investoren die enttäuschenden Resultate. Doch diese Phase ist zu Ende. Branchenkenner sind sich einig: «Die Flugunternehmen müssen sich auf eine massive Krise einstellen.» Und der Analyst einer Grossbank folgert: «Air Berlin wird nie Gewinne schreiben, das Unternehmen hängt am Tropf der Touroperator und ihrer Hausbank.»
Tatsächlich hat Air Berlin kaum Reserven, um eine längere Flaute zu überstehen. Blieben die Treibstoffkosten auf dem Niveau von rund 1400 $ pro Tonne Kerosin, müsse Air Berlin 872 Mio. € für den Jahresbedarf hinblättern, 80 Mio. mehr als noch im März erwartet, erklärte Hunold. Dies, obwohl die Gesellschaft 88% ihres Bedarfs bei 840 $ die Tonne dank Absicherungsverträgen eingekauft hat.
Keine Jahresprognose
Damit seien die früher gemachten Gewinnprognosen nicht zu halten, hiess es. Eine neue Jahresprognose wollte Hunold nicht mehr riskieren. Der Bank-Analyst von ABN Amro sieht die Gesellschaft 2008 wieder in der Verlustzone mit −20 Mio. € für das operative Geschäft.
Die Kreditspezialisten der Banken umkreisen Air Berlin inzwischen mit Argusaugen. Kann die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten einhalten? Das Unternehmen schiebt mit über 80% Fremdkapital einen grossen Schuldenberg vor sich her. Die Spezialisten dürften mit Sorge notiert haben, dass die Gesellschaft im ersten Quartal 49 Mio. € mehr liquide Mittel ausgab als hereinkamen. In der Fliegerei ist das Management der Barmittel entscheidend, vor allem, wenn Zweifel an der Solidität der Firma langsam hochkriechen. Der Pressesprecher von Air Berlin begründete diesen «einmaligen» Barmittelabfluss damit, dass man die leergefegten Lager der LTU habe aufstocken müssen.
Die grosse Unbekannte in der Rechnung von Air Berlin ist der neue Investor. Weiss er um die schwierige Situation? Ein Airline-Berater mutmasst, Blawatnik wäre wohl kaum in dieser angespannten Marktsituation eingestiegen, wenn er nicht bereit wäre, im Notfall Mittel einzuschiessen. Nirgends könne man so schnell Millionär werden wie in der Airline-Branche, heisst ein alter Witz. Man müsse einfach als Milliardär anfangen. Ob Herr Blawatnik den schon kennt?
Angenehmen Start in die Woche
Martin